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selben Richtungen verbreiteten, so mußten auch die einzelnen dialektischen Unterschiede sich in ungefähr gleicher Weise geographisch verteilen. Und selbst, wenn es einer Lautveränderung gelang, den Widerstand der einzelnen Teile des Sprachganzen zu überwinden und sich über das ganze Sprachgebiet zu verbreiten, blieben die durch das langsame Verbreitungstempo dieser Lautveränderung geschaffenen dialektischen Unterschiede doch bestehen. Durch die Häufung solcher Unterschiede wurde das Sprachganze in solchem Maße differenziert, daß schließlich ein Zustand eintrat, bei dem keine einigermassen wichtige Lautveränderung die Kraft hatte, sich über das ganze Sprachgebiet zu verbreiten. Dieser Zustand war von dem alten grundsätzlich verschieden: früher strebte jede Lautveränderung danach, das ganze Sprachgebiet zu umfassen und blieb nur dann stehen, wenn sie zu einer Mundart gelangte, wo die für die Vollziehung des betreflenden Lautwandels nötigen lautlichen Bedingungen noch nicht erreicht oder schon beseitigt waren; jetzt stockte die Verbreitung einzelner Lautveränderungen auch ohne solche sachliche Gründe, einfach aus Mangel an Expansionskraft. Von nun an wurden die mundartlichen Unterschiede nicht nur wie früher durch das langsame Tempo der Verbreitung einzelner Lautveränderungen geschaffen, sondern auch einfach dadurch, daß jede einzelne Lautveränderung jetzt ihr eigenes Verbreitungsgebiet besaß und ohne ersichtliche Gründe in verschiedenen Teilen des Sprachgebietes stehen blieb. Auf diese Weise mußte die Lautentwicklung des Sprachganzen aufhören. Zum einzigen Subjekt der Lautentwicklung wurde nunmehr jede einzelne Mundart. Das war die Auflösung der Spracheinheit.

Die Betrachtug des oben skizzierten Bildes der altrussischen Lautentwicklung führt auch zu Schlüssen allgemein methodologischer Natur. Wir haben gesehen, daß oft das langsame Tempo der Verbreitung einer schließlich das ganze Sprachgebiet umfassenden Lautveränderung tiefere Dialektunterschiede hervorrufen kann als eine lokale Lautveränderung mit beschränktem Verbreitungsgebiet. Es ist also wichtig auch bei allgemeinen Lautveränderungen, das Tempo und die Richtung der Verbreitung immer zu berücksichtigen.

Ferner glaube ich festgestellt zu haben, daß die russische Spracheinheit sich nicht etwa zuerst in 3 oder 4 Tochterspracheinheiten, sondern direkt in eine unbestimmte Masse von Mundarten aufgelöst hat. Ein einheitliches „Urgroßrussisch" hat es nie gegeben, weil die Eigentümlichkeiten, die das Nordgrr. vom Südgrr. trennen, viel älter sind als die sogen. „gemeingroßrussischen" Merkmale. Das, was die lautliche Eigenart des Klr. ausmacht, entstand in der ersten Hälfte des „Zeitabschnittes 1164-1282", d. h. vor der Auflösung der gemeinrussischen Spracheinheit: das „Urkleinrussische" bestand also nicht nach, sondern vor der Auflösung der gemeinrussischen Spracheinheit. Aber noch mehr. Wir haben gesehen, daß die Auflösung der russischen Spracheinheit mit dem Abschluß der Halbvokalbehandlung zusammenfällt. Diese Halbvokalbehandlung ist aber die letzte allen slavischen Sprachen gemeinsame Lautveränderung. Man darf also sagen, daß das Russische die Fähigkeit, an al lavischen Lautveränderungen teilzunehmen, erst dann verlor, als auch die einzelnen ostslavischen Mundarten unfähig wurden, allrussische Lautveränderungen gemeinsam zu vollziehen. Aus alledem geht hervor, daß das Ende einer Tochtersprachgemeinschaft chronologisch nicht immer jünger als das Ende einer Muttersprachgemeinschaft zu sein braucht.

Wien

Fürst N. TRUBETZKOY

Zur Geschichte der germanisch-slavischen Hauskultur

Das Autorenreferat, das ich den Lesern dieser Zeitschrift über Wunsch des Herausgebers hiermit vorlege, bringe ich lediglich in der Absicht, die Forscherkreise auf dem Gebiete der slavischen Volks- und Altertumskunde mit den Ergebnissen einer Arbeit1)

"

1) v. GERAMB Die Kulturgeschichte der Rauchstuben, ein Beitrag zur Hausforschung. Wörter und Sachen" IX S. 1-67. Heidelberg, C. Winter 1924. Die Arbeit wurde mit Unterstützung der schwedischen Gesellschaft für Kulturgeschichte gedruckt. Sie bringt den Schlußteil einer größeren Untersuchung, die ich in den Jahren 1908-1920 im Auftrage der Akademie der Wissenschaften in Wien durchgeführt habe.

bekannt zu machen, die manchen von ihnen nicht unwichtig sein könnte. Ich verbinde damit die Bitte, daß sie auch ihrerseits die Sache im Auge behalten und ihr vom Standpunkte der slavischen Altertumskunde aus nachgehen mögen. Gewiß handelt es sich bei unserer ostalpinen „Rauchstube“ vor allem um eine Angelegenheit der deutschen Volkskunde. Allein, wie ich zeigen möchte, ist die Kulturgeschichte dieses altertümlichen Wohnraumes doch so sehr mit der des slavischen Hauses verquickt, daß sich aus ihr auch für die slavische Hausforschung wesentliche Erkenntnisse ergeben.

Als „Rauchstube" bezeichnet die deutsche Bevölkerung der Ostalpen (im wesentlichen Kärntens und Steiermarks) einen alten, mehr und mehr verschwindenden bäuerlichen Wohnraum, der durch eine eigenartige Feuerstätte gekennzeichnet ist. Diese Feuerstätte (Abb. 1) verbindet den offenen, mit einer drehbaren Kesselvorrichtung ausgestatteten und von einem Funkenhut überwölbten Kochherd, der keinerlei Rauchabzug besitzt, mit einem mächtigen, steingemauerten (Back)-Ofen, an dessen Langseite sich unter einer Mauerstufe die Ofenbank mit der unter ihr befindlichen Hühnersteige erstreckt. Dieser Feuerstätte, die die eine Ecke des Raumes ausfüllt, meist diagonal gegenüber liegt der Tischwinkel, genau wie in einer gewöhnlichen Ofenstube. In der dritten Ecke, zwischen Feuerstätte und Fensterwand, befindet sich die Schlafstätte und nahe von der vierten Ecke (der „Liegerstatť“

Schlafstelle diagonal gegenüber) die Eingangstüre. Diese führt aus einem Vorhaus herein, das im Verbreitungsbereich der Rauchstube durchwegs als „Labn" (= Laube) bezeichnet wird und sich deutlich aus einer ehemals offenen Vorhalle entwickelt hat.

Dieser rußige, raucherfüllte Wohnraum, der etwas wesentlich anderes ist, als die dem bloßen Kochzweck dienende „Rauchküche", war in der Hausforschung lange ein Rätsel, um dessen Lösung sich neben verschiedenen anderen Forschern in besonders verdienstlicher Weise namentlich KARL RHAMM1) bemüht hat, ohne zu einem völlig befriedigenden Ergebnis zu kommen.

1) KARL RHAMM Ethnograph. Beiträge zur german. slav. Altertumskunde, II. Abt.: Urgeschichtliche Bauernhöfe im german. slav. Waldgebiet (XXXII u. 1117 S.), Braunschweig, Vieweg 1908.

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Abb. 1. Feuerstätte in der Rauchstube beim, Lippenbauer" in der Pack

(steir.-kärntn. Grenzgebirge).

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