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Das Staatsarchiv.

Sammlung

der officiellen Actenstücke

zur Geschichte der Gegenwart.

Herausgegeben

von

Ludwig Karl Aegidi und Alfred Klauhold.

Zweiter Band.

1862. Januar bis Juni.

HAMBURG.

Otto Meissner

1862.

Druck von H. G. Voigt.

Chronik des Jahres 1861.

Das Jahr 1861 begann ernst mit dem Tode Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preussen, der nach dreijähriger Krankheit in der Nacht vom 1. auf den 2. Januar entschlief und am 7. d. M. in der Friedenskirche zu Sanssouci beigesetzt ward. An demselben Tage verkündigte eine Allerhöchste Proclamation den Regierungsantritt des Königs Wilhelm, welche nach einem warmen Nachruf für den Verstorbenen verhiess, an den Grundsätzen der Regentschaft festzuhalten: „es sei Preussens Aufgabe nicht, dem Genuss erworbener Güter zu leben; nur durch die Anspannung aller geistigen und sittlichen Kräfte vermöge es, seinen Rang unter den Staaten Europas zu behaupten; der König wolle das Recht des Staates nach seiner geschichtlichen Bedeutung ausbauen und befestigen; seine Pflichten für Preussen fielen mit denen für Deutschland zusammen." Dieselben Gedanken fanden in der Thronrede Ausdruck, mit der König Wilhelm die Sitzung des Landtags eröffnete, nachdem Tags zuvor eine Amnestie für politische Vergehen erlassen war. Er erklärte, in dem unbeirrten Festhalten ernster und nachdrücklicher Förderung der Interessen Preussens und Deutschlands die sicherste Bürgschaft gegen den Geist des Umsturzes zu finden, welcher sich in Europa rege; durch die bedenkliche allgemeine Lage, die der König auch anderweitig mehrfach betont hatte, ward die Nothwendigkeit der Reform sowohl des preussischen Heeres als der Bundeskriegsverfassung begründet; hervorgehoben wurden ausserdem die unausgesetzten Bemühungen der Regierung für die Wiederherstellung des verfassungsmässigen Zustandes in Kurhessen und die Anerkennung der Pflicht, nunmehr endlich eine gebührende Lösung der Frage der unter dänischer Herrschaft stehenden deutschen Herzogthümer herbeizuführen. Von den Adressen, mit denen die beiden Häuser diese Thronrede beantworteten, hatte nur die des Abgeordnetenhauses eine Bedeutung für die auswärtige Politik, namentlich durch die mit einer Mehrheit von 13 Stimmen erfolgte Annahme des Vinckeschen Verbesserungsantrages: .der fortschreitenden Consolidirung Italiens entgegenzutreten, erachten wir weder im preussischen noch im deutschen Interesse." Alle Bemübungen des Ministers von Schleinitz, die Verwerfung desselben durchzusetzen, blieben vergeblich, obwohl er der Majorität des Hauses weiter entgegenkam, als er jemals früher gethan. Er hatte nach der missbilligenden Depesche, die er am 13. October 1860 von Coblenz nach Turin gerichtet, noch am 29. Decbr. in einem Erlass an Graf Bernstorff auf das Bestimmteste das Ansinnen Lord Russells zurückgewiesen, den Verkauf Venetiens in Wien zu befürworten; er erklärte jetzt, dass es sich bei dieser Frage vornehmlich darum handle, ob Deutschland ein strategisches Interesse an der Behauptung dieser Provinz durch Oesterreich habe; dies bejahe der grosse preussische Generalstab; aber, fügte der Minister hinzu, er wolle hieraus keine andere Consequenz ziehen als die, dass Preussen sich nicht berufen fühlen könne, Oesterreich die Verzichtleistung auf Venetien anzurathen oder dieselbe direct zu befördern." Diese Erklärung begrüsste die Majorität mit grosser Befriedigung, fand aber die Auskunft, welche Herr v. Schleinitz über drei Incidenzpunkte der Stellung Preussens zu Italien gab, nämlich die Coblenzer Depesche, die Fahrten der Loreley und die Verwendung für das Verbleiben der französischen Flotte vor Gaeta, so wenig nach ihrem Sinn, dass sie glaubte,

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durch die Annahme des Vinckeschen Antrages der Regierung noch bestimmter jede active Parteinahme für Oesterreich gegen Italien abschneiden zu müssen. In der Debatte über die deutschen Verhältnisse wurde das Amendement Stavenhagen, welches die preussische Spitze eines deutschen Bundesstaats forderte, verworfen, nachdem Graf Schwerin den Finanzminister veranlasst, vertraulich dem Herrn v. Vincke zu erklären, dass die Annahme den Rücktritt des Herrn von Schleinitz zur Folge haben könne, welcher nicht vereinzelt bleiben werde. Die Erörterung der kurhessischen Frage bot als bemerkenswerth nur die Erklärung des Herrn v. Schleinitz, die Regierung vertheidige die Verfassung von 1831, nicht weil sie musterhaft, sondern weil sie unrechtmässig beseitigt sei; er gab zu, dass noch nicht alle legalen Mittel der Einwirkung auf die hessische Regierung erschöpft seien, weigerte sich aber die Verfassung auf der Spitze der preussischen Bajonnette nach Kassel zu führen; nur Gefährdung directer preussischer Interessen könne zur Anwendung von Waffengewalt treiben. Der Berichterstatter wies darauf hin, dass eine solche Gefährdung bei der geographischen Lage leicht eintreten könne. Die Debatten über die schleswig-holsteinische Angelegenheit wiederholten die Klagen über den Druck der dänischen Herrschaft und behielten die deutschen Rechte auf Schleswig vor. Der König nahm die Adresse am

12. Februar entgegen.

Kurz nach dem preussischen Landtag wurden auch die französische Legislative und das englische Parlament eröffnet. Die Thronrede der Königin (5. Februar) war farblos, sie appellirte an die Mässigung der Mächte für die Erhaltung des Friedens, stellte das Nichtinterventionsprincip für Italien auf und spiegelte in dem Bedauern über den Ausbruch der Wirren in den Vereinigten Staaten die Besorgniss des Rückschlages auf die englische Industrie wieder.

Die Rede, welche der Kaiser Napoleon am 4. Februar an die Senatoren und Deputirten hielt, beschäftigte sich mehr mit innerer als mit auswärtiger Politik, und namentlich mit den Veränderungen der Verfassung vom 24. Novbr. 1860 und deren Vergleichung mit den Nachtheilen des früheren Parlamentarismus. Nach aussenhin erklärte Napoleon, sich mit einem legitimen Einfluss begnügen und aufrichtig den Frieden zu wollen; den unerwarteten Ereignissen in Italien gegenüber habe seine Regierung sich auf dem Standpunkt der Nichtintervention gehalten; er habe desshalb trotz seiner Sympathie für das Unglück des Königs von Neapel seine Flotte von Gaeta zurückziehen müssen; habe aber sein Recht auf Savoyen und Nizza durchgesetzt, die unwiderruflich mit Frankreich vereinigt seien. Der Kaiser schloss mit einer Aufforderung zum Vertrauen in die Zukunft; eine Nation von 40 Millionen könne so wenig wider ihren Willen in Verwicklungen gezogen als durch Drohungen gereizt werden. Diese letzte Wendung, die auf Persignys dringenden Rath noch gemildert war, ging offenbar auf gewisse Aeusserungen des Königs von Preussen; der Minister des Innern hatte auch empfohlen, den Ausdruck der Sympathie für den König von Neapel wegzulassen. Napoleon, welcher ihm darin nicht gefolgt war, ward durch den lauten Beifall seines Auditoriums überrascht, der diese Worte begleitete.

In Italien waren inzwischen in den beiden ersten Monaten des Jahres die Ereignisse rasch vorwärts gegangen. Franz II. hatte sich nach Verlust seiner Hauptstadt nach Gaeta zurückgezogen, das von der Landseite durch die Piemontesen beschossen, auf der Seeseite aber durch die französische Flotte geschützt ward; der Aufenthalt derselben verlängerte sich in Eolge der Bitten der Cabinette von Preussen, Oesterreich und Russland; als aber die Unterhandlungen mit Cialdini während des Waffenstillstandes vom 9-19. Jan. gescheitert, weil der König die Uebergabe abgelehnt, verliess das französische Geschwader Gaeta. und Admiral Persano blockirte auch von der Seeseite die Festung, welche sich am 13. Februar ergeben musste, worauf Franz II. und seine Gemahlin sich auf einer französischen Corvette nach den päpstlichen Staaten einschifften und ihren Wohnsitz in Rom aufschlugen. Die Citadelle von Messina und das Fort Civitella del Tronto hielten sich noch länger; erstere ergab sich am 13, letzteres am 20. März. In Neapel übernahm der Prinz von Carignan die Statthalterschaft; Nigra ward ihm als Minister beigegeben; die Abtheilung für auswärtige Angelegenheiten im Statthaltereirath ward aufgehoben, den sardini

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schen Consuln der Schutz der bisher neapolitanischen Unterthanen übertragen; die Ausnahmsgesetze wurden abgeschafft, ebenso die Privilegien der Klöster, und gleiche bürgerliche und politische Rechte den Nichtkatholiken gesichert. Ein königliches Dekret vom 14. Februar hob die administrative Autonomie Toscanas auf; am 5. Mai ward auch die gesonderte Verwaltung von Neapel beseitigt und Ponza di San Martino trat an die Stelle von Carignan. Inzwischen war am 18. Februar das erste italienische Parlament eröffnet. Die Thronrede des Königs machte im Ganzen einen friedlichen Eindruck; sie wies die Versammlung auf den Ausbau des Erreichten hin, die Weisheit bestehe nicht weniger darin, rechtzeitig zu wagen als klug zu warten." Im Senat ward am 26. Februar, in der Deputirtenkammer am 14. März ein Gesetz angenommen, welches dem König Victor Emanuel und seinen Nachkommen den Titel eines Königs von Italien beilegte [St-A. No. 8]. Derselbe ward sofort von England anerkannt [No. 10], nachdem Lord John Russel schon am 20. Januar dem neapolitanischen Geschäftsträger angekündigt, dass er ihn nicht mehr als am britischen Hofe beglaubigt ansehen könne, da Franz II. seine Staaten verlassen. Die vertriebenen Fürsten [No. 19, 20, 21], Oesterreich und die päpstliche Regierung [No. 18] drotestirten gegen die Annahme dieses Titels, welche, wie es in dem Schreiben des Cardinals Antonelli vom 15. April heisst, das Siegel auf die gottesschänderischen Usurpationen des Königs setze." Die meisten andern Regierungen, die ihre diplomatischen Bezie hungen mit dem Turiner Cabinet nicht abgebrochen, nahmen vorläufig eine abwartende Stellung ein; Graf de Launay in Berlin hatte schon vor der Proclamation des neuen Titels sein Creditiv als sardinischer Gesandter überreicht und blieb stillschweigend, indem er als Ministre de S. M. le Roi Victor Emanuel" bezeichnet ward, da der Versuch des zur Thronbesteigung entsandten Botschafters General v. La Marmora, die preussische Regierung zur Anerkennung Italiens zu bewegen, misslungen war. Den Consuln von Bayern, Württemberg und Mecklenburg in Italien ward im Mai das Exequatur entzogen [No. 27], nachdem die resp. Bundestagsgesandten dieser Staaten verweigert, Mittheilungen der „Légation d'Italie à Francfort entgegenzunehmen. Der französische Minister des Auswärtigen verhielt sich diesen Vorgängen gegenüber neutral; im Senat aber wie im Corps législatif gab die italienische Frage zu heftigen Debatten Anlass; die Depeschen, welche nebst dem Exposé de la situation mitgetheilt waren, stellten auf's neue die päpstliche Frage in den Vordergrund und zeigten die Rücksichtslosigkeit der ultramontanen Partei, die sich auch in Frankreich durch Erlasse des Clerus, namentlich des Bischofs von Poitiers, kundgab. Nachdem diese im Senat ein Organ in dem Marquis la Roche-Jacquelein gefunden, hielt der Prinz Napoleon eine lange Rede für Italien und seine einheitliche Constituirung. Er erklärte dasselbe als einzigen zuverlässigen Bundesgenossen Frankreichs, weil diese Allianz das einzig vernünftige Mittel bilde, die Verträge von 1815 zu modificiren, gegen die der Prinz sich in den stärksten Ausdrücken gehen liess; es sei der Ruhm des Kaisers, dieselben mit der Spitze seines Schwertes zerrissen zu haben; seit Frankreich in Savoyen und Nizza das wieder. genommen, was die heil. A lianz ihm entrissen, sei ihm Italien nicht nur durch Sympathieen, sondern auch durch seine Interessen unauflöslich verbunden; dasselbe sei auch durch seine künftige maritime Bedeutung berufen, mit der französischen Flotte vereint, der englischen das Gleichgewicht zu halten. Die Rede des Prinzen Napoleon machte grosses Aufsehen, und die Antworten einiger Cardinäle fanden nur schwachen Anklang, zumal der Minister Billault sich den Resultaten der Rede des Prinzen wesentlich anschloss und namentlich die Trennung der geistlichen und weltlichen Gewalt in Rom forderte; der Kaiser habe seine Truppen zurückziehen wollen, als die Expedition Garibaldis alles änderte. Im Corps législatif griff der clericale Abgeordnete Keller die italienische Politik der Regierung heftig an und erklärte sie für die Ausführung des Testaments von Orsini; lebhafte Entgegnungen des Ministers Billault und der republieanischen Mitglieder folgten; letztere forderten die Räumung Roms. Wenn die clericale Opposition der Regierung wenig bedrohlich erschien, so war für diese die Antwort, welche der Herzog v. Aumale auf die Rede des Prinzen Napoleon erliess, der die Orleans heftig angegriffen, ein schwerer Schlag; unter dem unscheinbaren Titel eines Briefes über die Geschichte Frankreichs in St. Germain erschienen, verbreitete sie sich rasch trotz aller Repressivmassregeln der Behörden

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