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Entstehung nach nicht als Vokative, sondern als ursprüngliche Nominative mit Hinzutreten der vokativischen Funktion aufzufassen.

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Komplizierter ist die Erklärung der Vokativformen auf -e von dem gleichen Substantivtypus und besonders von Substantiven auf -ko. Die in Frage kommenden Belege sind nicht zahlreich. Es gehört hierher der Vokativ воронке (Ай же ты сивушка бурушка || Да ты вещей Воронке) PETROZAVODSK (Hilf. 682). Die gleiche Form kommt aber endbetont auch als Nominativ vor воронке (Маленький полоненый воронке || Голову заляцил, хвост заломил) PETBOZAVODSK (ibid. 700). Mit nominativischer Funktion lassen sich auch andere Beispiele ähnlicher Bildungen anführen. Vgl. im Kreise Petrozavodsk бурке (Hilf. 819), дедке, Марке, карьке, бурьке, вещей соловке, Ивашке (ONčvkov Северный сказки 263, 287, 315, 318), ferner im Kreise PudožСадке (Hilf. 384)1). Vgl. noch: Дa бeрeт тут Петре тугой лук; я Петре царевичь золотничанин. РетвоZAVODSK (Hilf. 896, 1087). Der letztere Fall kann auch eine alte Nominativform von Пlerp sein, die, im Nominativ ungebräuchlich geworden, vokativische Funktion erhalten konnte. Vgl. die oben angeführten Belege für ähnliche Bildungen.

Was die übrigen angeführten Fälle betrifft, so kann man sie ihrer Entstehung nach nicht für Vokativformen halten, wie es SOBOLEVSKIJ und nach ihm ŠACHMATOV taten. Das uns vorliegende Material bezieht sich fast ausschließlich auf den Nominativ und nicht auf den Vokativ. Die Form воронкe ist der einzige Vokativ, dient aber auch als Nominativ. Fernerhin sind es ausschließlich Substantiva mit dem -k-Suffix, und endlich muß, abgesehen von der beschränkten Verbreitung der angeführten Formen, berücksichtigt werden, daß alle Beispiele eine ursprüngliche normale Nominativform auf -ko voraussetzen, d. h. Neutra sind, deren Vokativ mit dem Nominativ gleichlautend war und durchaus nicht auf -e ausging. Für eine Erklärung dieser Formen auf -ke als Vokative müßte erst eine Beeinflussung durch 1) Vgl. Сынъ его Кондратке DVINSK. Kaufvertrag des Andronik Mitte XVI. Jahrh. (Арxив Строeва I 18); Belege aus dem Altruss. bei SOBOLEVSKIJ Лекции 192.

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die offensichtlich künstlichen archaisierenden Vokativformen in der Art der oben angeführten Адаме, Петре u. ä. angenommen werden. Dieses ist an und für sich unwahrscheinlich, da die angeführten Beispiele дедке usw. der lebenden Sprache nahezustehen scheinen, zum Unterschiede von Formen wie Mироне, Ефимьяне usw. So müssen Formen wie дедке и. ä. anders erklärt werden. Es ist wahrscheinlich, daß sie Nominative sind, denn eine solche Funktion haben sie ja in fast allen angeführten Beispielen. Die ursprünglich auf -ko auslautenden Nominative wurden aus rein lautlichen Gründen (vielleicht infolge einer progressiven Assimilation) zu -ke verwandelt, blieben aber ihrer Funktion nach Nominative.

Ergebnisse. 1. Die *o- *u- *i-stämmigen Substantiva verloren im Gemeingroßrussischen ihre ursprünglichen Vokativbildungen. An Stelle der geschwundenen Formen traten Neubildungen auf, die nach ursprachlicher Tradition aus dem reinen Substantivstamm der genannten Kategorien bestanden. Die Vokativform fiel dadurch mit dem Nominativ zusammen.

2. Die a-stämmigen Substantiva behielten teilweise ihre ursprünglichen Vokativformen auf -o bei, das unter gewissen Aussprachebedingungen gedehnt und weiterhin qualitativ differenziert wurde (vgl. die Formen auf -ou, -, -oj). Einerseits infolge ursprachlicher Tradition, andrerseits vielleicht unter Einfluß der in Punkt 1 erwähnten Neubildungen, wurden auch ihre alten Bildungen teilweise durch neue Formen ersetzt, die den reinen Stamm der genannten Substantivkategorien darstellten. 3. Die neutralen Substantiva auf *o-, ursprünglich ohne Vokativform, erhielten die Funktion von maskulinen Substantiva ohne eine spezielle Vokativform zu schaffen, für die der Nominativ gebraucht wird.

Petersburg

S. OBNORSKIJ

Formprobleme in der russischen Literaturwissenschaft.

I. Zur Geschichte der „,formalen Methode“.

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Die letzten zehn Jahre (1914-24) waren für die russische Literaturwissenschaft die Zeit einer scharfen methodologischen Krise, einer Revision der traditionellen Methoden der literarhistorischen Forschungen und eines Suchens nach neuen Wegen. Als Resultat dieser methodologischen Evolution kann man die Ausbreitung der sogen. formalen Methode" bezeichnen. Sie lenkte die Aufmerksamkeit der verschiedenartigsten Gelehrtenkreise auf sich und erwarb sich die Sympathie der meisten jüngeren Literarhistoriker. Der vorliegende Aufsatz versucht, über die wichtigsten in den Arbeiten der sogen. „formalen Schule“ behandelten theoretischen und historischen Probleme zu orientieren. Der Verfasser sieht sich im Interesse der Vollständigkeit genötigt, auch kurze Referate seiner eigenen Schriften zu geben.1)

Unter dem allgemeinen und etwas unbestimmten Namen der ,,formalen Methode" fallen in Rußland die verschiedenartigsten Untersuchungen über historische und theoretische Poetik, über Fragen der dichterischen Sprache und des Stils im weitesten Sinne, d. h. Arbeiten über Metrik und Stilistik, Komposition und Stoffgeschichte, über Geschichte und Theorie der literarischen Gattungen und Stilarten u. ä. Aus dieser Aufzählung, die weder systematisch noch erschöpfend ist, geht hervor, daß es im Prinzip richtiger wäre, nicht von einer neuen Methode zu sprechen, sondern von neuen Aufgaben der Forschung, von einem neuen wissenschaftlichen Kreis von Problemen, die bisher in der russischen Literaturwissenschaft noch nicht genügend berück

1) Die in Klammern beigefügten Nummern beziehen sich auf das am Ende dieses Aufsatzes gegebene bibliographische Verzeichnis.

sichtigt worden sind. Aber in dieser Hingabe an die neuen Themen zeigt sich auf jeden Fall ein Streben nach Methode und eine neue Auffassung des Wesens der Erscheinungen, die in das Bereich der Literaturwissenschaft gehören. Das Interesse für die Formprobleme hängt zusammen mit einer Reaktion gegen die in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrh. in der russischen Wissenschaft herrschenden Forschungsmethoden. Nach der Ansicht der Vertreter der jungen Generation sind die Literaturwerke allzu lange als Material für die Erforschung der Psychologie der einzelnen Dichter oder der gesellschaftlichen, moralischen, religiösen und metaphysischen Zeitide en betrachtet worden, d. h. als ein persönliches Bekenntnis des Dichters oder als ein kulturhistorisches Zeugnis. Nicht die Evolution der philosophischen Weltanschauung oder des Lebensgefühls, nicht die historische Entwicklung und Veränderung der sozialen Psychologie oder Ideologie, in ihrer Wechselbeziehung zur individuellen, hat den Literarhistoriker in erster Linie zu beschäftigen, sondern die spezifischen Eigentümlichkeiten des Literaturdenkmals als eines dichterischen Kunstwerkes. Wenn unter Poetik eine Wissenschaft zu verstehen ist, die die Dichtung als Kunst betrachtet, so kann man behaupten, daß die neue Literaturwissenschaft sich unter dem Zeichen der Poetik entwickelt.

Fragen der Poetik wurden in Rußland erstmalig von ALEXANDER VESELOVSKIJ (NN 16-17) behandelt, der einen groß angelegten Plan einer „Historischen Poetik" d. h. einer vergleichenden Geschichte der europäischen Literaturen als Geschichte der poetischen Gattungen unvollendet hinterlassen hat. In den ersten drei abgeschlossenen Kapiteln des genannten Werkes behandelt VESELOVSKIJ den ursprünglichen Chorsynkretismus der volkstümlichen Kultdichtung und die Entstehung der einzelnen Literaturgattungen aus der ursprünglichen Einheit. Entsprechend diesem Inhalt berücksichtigte er die kulturgeschichtlichen Bedingungen der primitiven Dichtung mehr als die reinen Formprobleme. Aber in seinen Aufsätzen „Zur Geschichte des Epithetons", „Der psychologische Parallelismus im Volksliede" (N 16) und in der unbeendeten Skizze „Die Theorie der Handlung" bahnt er den Weg für eine historisch-vergleichende Behandlung der

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theoretischen Dichtkunst-Probleme. Unter den Gelehrten, die die Arbeit auf dem Gebiet der altrussischen Literatur fortsetzten, hat besonders VL. PERETZ (N. 40) diese Richtung VESELOVSKIJ'S in den Vordergrund gerückt. In seinen Vorlesungen und Übungen über Methodologie der Literaturgeschichte, zuerst in Kiew, dann in Petersburg, hat er wiederholt auf die Bedeutung der Poetik und Stilanalyse der Literaturdenkmäler hingewiesen (NN. 39, 41). Ein selbständiges System der theoretischen Poetik lieferte der Charkover Professor A. A. POTEBNA (NN 44—45) hauptsächlich in dem nach seinem Tode herausgegebenen Buch „Iz zapisok po teorii slovesnosti" (Charkov 1905); außer dieser Schrift sind die Ideen POTEBN ́A's von seinen Schülern (Ovs'ANNIKO-KULIKOVSKIJ, A. HORNFELD u. a.) mehrfach popularisiert worden, namentlich in der Serie „Voprosy teorii i psichologii tvorčestva“ (Lief. 1—8 Charkov 1908-1923 unter der Redaktion von B. LEZIN). Gegen das System PoTEBNA's als Ganzes, sind in neuester Zeit erhebliche Einwände erhoben worden, die sich hauptsächlich gegen seine Theorie der Kunst als bildhaftes Denken richten (vgl. NN 66 und 28); jedoch die in seinen Werken sich zeigende Methode hat Annäherung der Poetik an die Sprachwissenschaft sich als durchaus fruchtbringend erwiesen und hat einen großen Einfluß auf die Vertreter der „,formalen Schule" ausgeübt.

Es dürfen nicht unerwähnt bleiben jene tiefgehenden Einwirkungen, die die heutige Literaturwissenschaft seitens zeitgenössischer Dichter erfahren hat, die in Fragen poetischer Technik oft besser Bescheid wissen als Philologen von Fach. Als erste haben in Rußland die Symbolisten den Eigenwert der Kunst gegenüber dem in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrh. in der literarischen Kritik herrschenden sozialen Utilitarismus betont. Im Kampf um eine neue poetische Form richteten sie unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf die Formprobleme. VALERIJ BRUSOV, der augenblicklich an der Moskauer Universität Vorlesungen über Metrik hält, hat in den letzten Jahren ein Lehrbuch der russischen Metrik (N 15) und einige Arbeiten über die Verstechnik bei PUŠKIN (N 14), TUTČEV u. a. publiziert. ANDREJ BELYJ (BORIS BUGAJEV) hat in seinem ,,Symbolismus“ 1910 [Nr. 5] der russischen Metrik viele neue Anregungen geboten und weite

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