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russischer Bylinenverse durch einen solchen embryonalen Endreim verbunden. Jedoch ist der Begriff eines genauen Reimes auch beim klassischen Reim relativ. Auch hier werden die Grenzen des Gleichlauts durch die Tradition bestimmt. Für die Schaffung einer Tradition mißt der Verfasser orthographischen Verschiedenheiten als Trägern von Bedeutungsdifferenzen (z. B. Unterschieden wie Nom. und Gen. der neutralen Substantiva, oder Neutrum und Femininum der Adjektiva bei gleicher Lautform: slóvo : slóva, zdoróvo : zdoróva) eine besondere Bedeutung bei. Es sind zwei Typen des orthographischen Reimes möglich: a) gleichlautende Wörter werden im Reim vermieden, weil ihre Schreibweise verschieden ist (französischer Typus); b) Wörter mit gleicher Schreibung werden gereimt, trotz der verschiedenen Aussprache (englischer Typus). Beide Arten findet man auch bei russischen Dichtern (im XVIII. Jahrh. und auch noch zur Zeit PUŠKIN'S mieden z. B. die Dichter Reime vom Typus slovo: slóva, trotzdem den auslautenden -a und -o hier gleichmäßiges -a entspricht). Daher darf der Reim nicht ohne weiteres als Zeugnis für die Aussprache des Dichters verwertet werden. Die Entwicklung des russischen Reimes im Laufe des XIX. Jahrl. besteht zuerst in der allmählichen Zerstörung der orthographischen Genauigkeit in der Reimfolge gleichlautender nachtoniger Vokale, dann in der Verwertung voneinander immer mehr entfernter Gleichklänge, hauptsächlich auf dem Gebiete des unbetonten Vokalismus. Die neueste russische Dichtung verwendet den ungenauen Reim als künstlerisch-gewollte Dissonanz (hauptsächlich in der Form von Assonanzen).

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Außer solchen Fragen hat sich die russische Metrik in den letzten Jahren mit der Bedeutung der Syntax im Aufbau der Dichtersprache befaßt. Der Verfasser behandelt diese Frage in seinem Buch über die Komposition lyrischer Gedichte" (N 29). Unter diesem Gesichtspunkt ist die Strophe ein einheitliches Element der Komposition nicht nur hinsichtlich der metrischen Gliederung, sondern auch als syntaktische und inhaltliche (thematische) Einheit. In der Normalstrophe (,,Stanze") entspricht der metrischen Gliederung eine gleiche Gliederung der syntaktischen und thematischen Elemente. Das Enjambement wird daher immer

als eine Durchbrechung der Norm mit besonderen künstlerischen Absichten empfunden. Außerhalb der einzelnen Strophen sind der syntaktische Parallelismus und die mit ihm verbundenen Wiederholungen von Wörtern und Wortgruppen die übliche Art der Strophen-Komposition. Der Verfasser untersucht die Kompositionsarten der Anaphora, Epiphora (Refrain), Epanastrophe und Anadiplosis (Kreis) und ihre Anwendung in der russischen Lyrik des 18.-20. Jahrh. Während die Anaphora als häufigster kompositioneller Wiederholungstypus überall vorkommt, ist in der russischen Poesie die Kompositionsform des „Kreises" (Anadiplosis) besonders gebräuchlich, der das Gedicht durch eine vollständige oder teilweise Wiederholung der Anfangsstrophe in der Art der Romanzen mit Reprisen umschließt. Dagegen hat die Dichtung der germanischen Völker unter dem Einfluß des Volksliedes die Epiphora (den Refrain) weit verbreitet. Feste Strophenformen mit Wiederholungen, wie z. B. das Rondo, das Triolett usw., sind aus kompositionellen Wiederholungen gewöhnlicher Art durch eine Auslese von traditionell erstarrten Formen entstanden. An die Stelle von Strophen, als der ständigen Einheit der metrischen Komposition, tritt in den freien Rhythmen (z. B. in den „Alexandrinischen Liedern“ von Kuzmin, bei Klopstock, dem jungen Goethe und Heine) der syntaktische Parallelismus, welcher der Kompositionsgliederung zu grunde gelegt wird. Nicht die Akzentverhältnisse, sondern die verschiedenen Anwendungen des syntaktischen Parallelismus, der den Eindruck rhythmischer Bewegung und koordinierter Satzgruppen hervorruft, sind nach der Meinung des Verfassers die wichtigsten Rhythmisierungsfaktoren der rhythmischen Prosa.

Diese Theorie der rhythmischen Prosa richtet sich gegen die traditionelle Art der Behandlung solcher Fragen, die noch immer in der russischen Metrik vertreten ist. Sie verdient besondere Beachtung in Anbetracht der weiten Verbreitung der rhythmischen Prosa in der neuesten russischen Literatur; vom Standpunkt gegenwärtiger Strömungen werden nunmehr auch analoge Tendenzen bei MARLINSKIJ, GOGO und TURGENEV verständlich. A. BELYJ, heute der hervorragendste Vertreter dieser Richtung, versucht auf Grund von GoGoL solche metrische For

meln zu finden, die die Akzentverhältnisse der rhythmischen Prosa bestimmen und versucht dadurch die Grenzen zwischen Prosa und Vers zu erschüttern (N 7). Seitens der Anhänger von A. BELYJ sind Versuche gemacht worden (von L. GROSSMANN, N. ENGELHARDT, BRODSKIJ usw.) einzelne isolierte „Verszeilen", welche dem metrischen Schema von Jamben oder Anapästen entsprechen oder in eine Folge von verschiedenen Versfüßen zerlegt werden können, in der rhythmischen Prosa nachzuweisen. Gegen eine solche Art der Analyse, die nicht damit rechnet, daß nur da von metrischer Form die Rede sein kann, wo sich eine gesetzmäßig geregelte Wiederkehr einer gleichen Reihe von starken und schwachen Silben findet, wendet sich in scharfer Weise TOMAŠEVSKIJ (N 58). Von einer anderen Seite betrachtet diese Frage der Verfasser der „Komposition" (N 29), indem er als wesentlichsten Faktor der rhythmischen Wirkung den syntaktischen Parallelismus hinstellt.

Durch die Forschungen von ED. SIEVERS und FRZ. SARAN sind in Rußland Arbeiten über die Melodik des Verses angeregt worden. B. EICHENBAUM (N 78) wirft die Frage auf nach den verschiedenen Typen der Versmelodie und ihrer Wirkung auf die entsprechenden Stilarten. Er unterscheidet drei verschiedene Stilarten die deklamatorische (z. B. in der heroischen Ode des 18. Jahrh.), die sprechstimmige (die Gedichte der Achmatova und „Evgenij Onegin"), die singstimmige (ŽUKOVSKIJ, FET, die Symbolisten). Sein Buch behandelt hauptsächlich den singstimmigen Stil, und er zeigt an ŽUKOVSKIJ, LERMONTOV, FET einige Eigentümlichkeiten, die für die singstimmige Lyrik charakteristisch sind: die Verwertung der fragenden Intonation (die Gedichte ŽUKOVSKIJ's sind auf einem Parallelismus lyrischer Fragen aufgebaut), des syntaktischen Parallelismus und der Wiederholung (Fet), ferner einige hier besonders bevorzugte metrische Figuren (z. B. dreisilbige Versfüße mit dipodischer Gliederung des Verses durch starke Caesur oder inneren Reim). PUŠKIN fällt aus der Poesie des singstimmigen Stiles heraus, TUTČEV und LERMONTOV zeigen hybride Verbindungen. Interessant ist auch hier der Zusammenhang zwischen den theoretischen Arbeiten über die Melodik und den analogen Problemen der

heutigen Dichtung. Daher ist der Übergang vom singstimmigen Stil der russischen Symbolisten zu der sprechstimmigen Lyrik der Achmatova stark empfunden worden. Dazu vgl. den Verfasser in seinem Aufsatz über die neueste russische Lyrik (N 27). Die Bedeutung der Wiederholungen im singstimmigen emotionalgefärbten romantischen Stil ist gleichfalls vom Verfasser an dem Beispiel von FET, VL. SOLOVJEV und den Symbolisten gezeigt worden (N 29; vgl. auch NN. 31—32).

Auf einem anderen Wege tritt S. BERNSTEIN an die Fragen der Melodik heran in seiner Arbeit „Die Stimme Bloks", die leider bisher noch nicht im Druck erschienen ist (N 11). Dieser Arbeit liegen viele von BERNSTEIN ausgeführte phonographische Aufzeichnungen zu grunde, die gegenwärtig im Phonogrammarchiv des Kunsthistorischen Instituts in Petersburg aufbewahrt werden. Es sind Aufnahmen zeitgenössischer Gedichte, vorgetragen von den Dichtern selbst. BERNSTEIN hält die Rezitationen der Dichter selbst für den zuverlässigsten Kommentar ihrer künstlerischen Absichten, stellt daher die verschiedenen Typen der Melodisierung fest und findet interessante Beziehungen zwischen den stilistischen Ausdrucksmitteln der Dichtung und den Eigenarten ihrer Melodik.

2. Stilistik.

Die stilistische Forschung hat in den letzten Jahren keine so bedeutende Förderung erfahren. Wir wollen hier auf einzelne neue Probleme hinweisen, ohne die Forschungsresultate zu einem abgeschlossenen System zusammenzufassen.

Die allgemeinen Forschungsprinzipien der Semantik der Dichtersprache erörtert JU. TYN'ANOV (N 62). Er hält dem üblichen Brauch, die metrische Komposition (Phonetik) getrennt von der Bedeutung (Semantik) zu analysieren, die methodische Forderung entgegen, die Sprachelemente in ihrer realen Wechselwirkung zu behandeln. An einigen Beispielen weist er einen Bedeutungswandel der Worte infolge der metrischen Konstruktion nach (hauptsächlich beim Enjambement). Die künstlerische Eigenart eines Dichters auf Grund der Wortwahl nach Bedeutungsgruppen versucht der Verfasser dieses Aufsatzes und

VINOGRADOV zu charakterisieren. Dabei meint der Verfasser, daß ein jedes Wort mit sachlicher Bedeutung für den Dichter ein Thema darstellt; einige lyrische Richtungen können in erster Linie durch ihre besondere Auswahl von Wortthemen charakterisiert werden (z. B. Tränen, Seufzer, Erinnerungen, Trauer, Stille usw. in der sentimentalen Dichtung). Der Verfasser versucht die Auswahl der Wortthemen in den Naturbeschreibungen TURGENEV'S (N 28a) zu charakterisieren, in den erotischen Balladen BR'Usov's (N 31) und stellt die beliebtesten Metaphern BLOK's fest (N. 30). V. VINOGRADOV dagegen versucht in seiner Analyse der Achmatova die bevorzugten Wortsymbole der Dichterin zu „,semantischen Gruppen" zusammenzufassen (N 21). Er unterscheidet bei der Achmatova drei „semantische Sphären" die Themen: „Vogel und Lied“, „Gebet“, „Liebe", und stellt den Dichtern mit eng begrenztem sprachlichen Bewußtsein, das sich bei ihnen auf wenige Wortsymbole beschränkt (Achmatova), Dichter gegenüber, in deren Bewußtsein sich die verschiedensten semantischen Reihen kreuzen und berühren (BLOK). Für die letzteren ist ein bunter metaphorischer Stil charakteristisch, für die zuerst genannten ein Sichversenken in einige wenige Symbole, die dann in allen ihren Bedeutungsschattierungen verwertet werden.

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Die poetischen Tropen (Metapher, Metonymie usw.) als Kategorien der poetischen Semantik wurden in ihrem ganzen Umfang schon von A. POTEBN'A behandelt in seiner nicht abgeschlossenen „psychologischen" Poetik (N 44). In neuester Zeit ist die Lehre POTEBN ́AS über das Bildliche der, poetischen Sprache und die Gleichsetzung von bildlicher und metaphorischer Ausdrucksweise andauernd einer Kritik unterzogen worden (vgl. V. ŠKLOVSKIJ N 66 und V. ŽIRMUNSKIJ N. 28; dagegen P. SAKULIN NN 48—49); immerhin zeigt sich in der neuen Forschung ein starker Einfluß seiner Lehre von den verschiedenen Arten der sprachlichen Entwicklung einer Metapher, und speziell von der Möglichkeit der Entwicklung einer sprachlichen Metapher zum metaphorischen Thema (oder Sujet) eines ganzen Gedichtes (vgl. z. B. R. JAKOBSON N 85); besonders reiches Material für derartige Beobachtungen bietet die durchweg metaphorische Dichtung BLOKS (N 30). An

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